Vom Leinenzwang bis zum Klickertraining: Warum die Hundewelt heute komplizierter scheint

Die Hundehaltung hat sich im Gegensatz zu früher sehr stark verändert. Selbst zu den Jugendzeiten meines Seniors Shorty, der jetzt mit seinen 12 Jahren zu den Rentnern gehört, war noch vieles anders. Damals fühlte sich vieles entspannter an, der Spruch „Die machen das unter sich“ war noch viel präsenter als heute. Ein Hund im Park an der Leine war eher die Ausnahme, und die Erziehungsmethoden waren oft rauer. Irgendwie funktionierte es, und viele wünschen sich diese Zeiten zurück. Was ist jetzt passiert, dass es heute nicht mehr so funktioniert? Hier bekommt ihr meine ganz persönliche Meinung.

Zu Shortys Jugendzeiten ging es so langsam erst los mit dem modernen Hundetraining. Ich war damals einer der jüngsten Hundehalter im Park. Ich habe mich viel beschäftigt mit Hundetraining, mit Hundeverhalten, mit Klickertraining, mit der richtigen Auslastung etc. Damit waren wir aber eher eine Ausnahme. Das bedeutet nicht, dass keiner seinen Hund erzogen hat, aber nicht jeder Hund hörte aufs Wort oder konnte tausende von Kunststücken. Lange Leinen sah man selten; wenn ein Hund mal nicht kam, dann war das halt so. Dennoch gab es gefühlt wesentlich weniger Konflikte als heute. Heißt das vielleicht, dass unser Trainings- und Erziehungswahn der Grund für die vielen Konflikte in der Hundewelt heutzutage ist?

Dazu sage ich nein! Vielmehr ist die Welt, in der wir und unsere Hunde leben, heute eine ganz andere. Es gab sicher auch damals Probleme und Konflikte, diese wurden nur oft vom Menschen nicht gesehen. Shorty hat aufgrund von „die machen das unter sich“ bis heute ein Problem mit Bulldoggen, weil er das damals mit genau dieser Rasse in der Morgenrunde ausdiskutieren musste. Hätte die Halterin damals ihren Hund unter Kontrolle gehalten oder hätte ich mehr eingegriffen im Welpenspiel, dann wäre dieses Problem nicht entstanden. Es ist wie bei der Kindererziehung: Auch wenn es sich so anfühlt, dass es früher keine Probleme gab, stimmt das in vielen Fällen einfach nicht. Die Bedürfnisse von Hunden wurden einfach nicht gesehen, und dadurch gab es gefühlt Entspannung für die Aufsichtspersonen. Dahingehend ist die Entwicklung sehr gut, dass solche Probleme heute wahrgenommen werden.

Das ist aber nur die eine Seite des Ganzen. Es ist gut, dass Probleme gesehen werden und es ist gut, dass sich Menschen mehr mit dem Hundeverhalten und der Hundeerziehung beschäftigen. An manchen Stellen wird aber auch tatsächlich übertrieben. Ich liebe es, über Hunde zu lernen, über Verhalten zu lernen, mich mit meinem Hund zu beschäftigen, ihn zu beobachten und zu trainieren. Dabei geht aber teilweise die Natürlichkeit verloren, und es gibt in der Mensch-Hund-Beziehung auch ein Überbehüten. Es wird so viel über den Hund nachgedacht, trainiert und versucht, ihn und die Umwelt so zu beeinflussen, dass er nach Möglichkeit nie schlechte oder falsche Lernerfahrungen macht. Deshalb wird immer auf den Hund geguckt, und ganz unbewusst folgt man dem Hund und vergisst komplett, dass man auch selber spazieren geht. Natürlich gehen wir oft für unseren Hund spazieren, aber dieses Spazieren soll dennoch auch für uns sein. Nicht nur der Hund hat ein Recht auf seine Bedürfnisse, sondern wir Menschen auch. Das gerät dann häufig in den Hintergrund.

Die Beziehung zum Hund ist keine Einbahnstraße, es ist ein Geben und Nehmen. Hunde wollen gar nicht die Führung übernehmen. Ein ständiges im Mittelpunkt stehen und ein ständiges Selbstentscheiden ist stressend. Nicht umsonst wollen auch viele Menschen im Job keine Führungsposition haben; es ist anstrengend, und dadurch sind viele Hunde überfordert. Früher gab es darüber keine Diskussion, da musste ein Hund einfach funktionieren. Auch das ist nicht richtig, natürlich! Da heißt es, den Mittelweg finden, sich erinnern, dass man einen Freund an seiner Seite hat, und dem würde man auch nicht ständig jeden Wunsch von den Augen ablesen, mal ja, aber eben nicht ständig!

Ist es denn damit getan, dass wir alle wieder mehr entspannen und unser Gleichgewicht finden und schon gibt es keine Probleme mehr? Natürlich nicht! Und natürlich ist das moderne Hundetraining richtig und wichtig. Ein weiterer Grund für die heutigen Herausforderungen ist, dass die Parks einfach viel voller sind. Schon zu Shortys Jugendzeiten vor 10 Jahren gab es viele Hunde, viel mehr als zu meinen Kindertagen, aber lange nicht so viele wie heute. Ging ich mit Shorty in den Park, kannte ich jeden einzelnen Hund, den wir gesehen haben. Ich wusste, wer mit wem kann und wer sich nicht mag. Die Anzahl an Hunden war überschaubar, sodass sich auch alle Hunde kannten und wussten, wie sie miteinander umgehen müssen. Heute sind es so viele Hunde, dass es gar nicht mehr möglich ist für mich, alle Hunde zu kennen. Je besser sich Hunde kennen, desto mehr können sie auch unter sich ausmachen. Während sich in einem Park mit vielleicht 20 Hunden noch natürliche Strukturen ausbilden können, ist das in einem Park mit 100 Hunden einfach nicht mehr möglich. So kommt es immer wieder zu Konflikten, die neu ausgetragen werden müssen. Die ritualisierte Konfliktlösung wird so immer weniger. Also, ganz egal, wie entspannt wir sind, eine natürliche Ordnung im Park ist heute kaum noch zu erreichen, da allein schon die Anzahl an Hunden eine kommunikative Überforderung darstellt.

Mit diesem Gedanken im Kopf ist das moderne Hundetraining also heute umso wichtiger! Während Probleme früher im Park erfolgreich ignoriert werden konnten und dennoch eine gewisse Harmonie im Park eingetreten ist, würden diese Probleme heutzutage einfach ignoriert werden, dann gäbe es noch viel mehr Probleme! Das ist etwas, was viele Alt-Hundebesitzer nicht sehen wollen, leider, und dadurch stoßen dann zwei Fraktionen aufeinander, und es kommt noch mehr zu Konflikten, auch unter den Menschen. Es gibt sicher noch viel mehr zu diesem Thema zu sagen, aber für mich passen diese beiden Punkte schön zusammen und geben einen guten Einblick. Modernes Hundetraining ist wichtig für das Wohlbefinden unserer Hunde, besonders in einer heute viel anspruchsvolleren Welt, in der sie mit uns leben. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass Natürlichkeit und Entspannung im Umgang ebenso eine wichtige Rolle spielen, die leider oft vernachlässigt wird.

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